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Nach einer wahren Begebenheit.
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Ein Digeridoo (im Folgenden "D") ist ein alphornartiges Instrument, das zwar weder so lang noch am unteren Ende so gekrümmt, innen aber ebenso ausgehöhlt ist. Wer eins sieht, denkt automatisch zuerst Ach du Lieber!, dann an die hölzernen Wasserrohre, mit denen manchmal in den Bergen Quellwasser in Holztröge geleitet wird.
In ein D muss man angestrengt hineinblasen. Das scheint auf den ersten Blick ziemlich unsinnig: wenn man mit der gleichen Blasekraft einfach pfeifen oder Uaaa! brüllen würde, wäre es mindestens genauso laut.
Denkt man.
Tatsächlich wird durch die Bewegung des Luftstromes der Ton 4moduliert, wie es in der Musikersprache heißt: dem D können so interessante Töne von einem tiefen OUUUU bis hin zu einem normalen OUUUU abgerungen werden.
Um es in seiner optischen Wirkung zu unterstreichen, wird das D seit jeher von seinen Entdeckern, den Ureinwohnern des Australischen Kontinentes, mit traditionell vom Vater zum Sohne weitergegebenen Schnitzzeichen bekerbt. Ich vermute, weil sie der oder einer Schriftsprache nicht mächtig sind, wenn man die eben erwähnten Zeichen, die etwa "Jagd", "Büffel" oder "Paarung am See" bedeuten, nicht als Schrift im Sinne von Lateinischen Lettern bezeichnen will.
(Nebenbei: Die Eingeborenenfrauen geben seit Jahrhunderten ebensolche Strick- und Stoffbemalmuster an Ihre Töchter und Töchterstöchter weiter, die allerdings von weniger martialischer Bedeutung sind. Eher "Sehr großer und sehr roter, heiliger Felsen" oder "Eigner Herd ist Goldes wert".)
Dieser Mangel an Schreibkompetenz ist übrigens auch der Grund dafür, dass niemand weiß, wie das besprochene Instrument wirklich heißt. Der Vater konnte und könnte, wenn er mit seinem Sohn in die Ureinwohnerstadt ginge und vor einem Musikalienladen stünde, sagen (in Lautschrift ausgedrückt): "jùµbø urùn°gå owµmbø úllù di°zeridø bg°òngå?"
Leider kann der Sohn diesen oder ähnlich denkwürdige Sätze des abends nicht in sein Tagebuch schreiben, weil er
I. kein Tagebuch hat, weil er
II. nicht schreiben kann, und weil es
III. keine Schrift gibt, oder umgekehrt.
Ein senkrechter Strich, der im unteren Fünftel leicht nach rechts gebogen ist, ähnlich unserem Deutschen J, bedeutet in der Australischen Höhlenschrift Diggeridoo, aber das kann man ja nicht wissen als Laie, oder wenn man nicht gerade Keilschrift studiert hat.
Das Instrument wird in besonders rituellen Momenten gespielt; Beispielsweise ist überliefert, dass Beobachter es bei der Eröffnung der Jagdsaison in Benutzung sahen[1] , auch abends am Lagerfeuer wie eine Gitarre. Da spielt der Stammesälteste aus Leibeslust auf dem Rohr, und die anderen versuchen, den Lärm durch Singen zu übertönen, und es soll Löwen vertreiben. - Nein, in Australien gibt es bestimmt schon lange keine Löwen mehr. Sie sind ausgestorben oder von den Ureinwohnern vor langer Zeit wegen ihres Fells ausgerottet worden, was aufs Gleiche herauskommt, wenn es sie denn überhaupt je gegeben hat, down under. Also: Dingo.
Es soll Dingos vertreiben.
Das D ist von dunkelbrauner bis schwarzbrauner Farbe.
In Westeuropa sind zumeist billige Massenprodukte, die überhaupt nicht in Australien hergestellt werden, nichteinmal von Australiern, sondern in Südkorea und Vietnam, auf dem Markt und überschwemmen diesen. Sie bestehen zwar nicht aus Plastik, aber so gut wie.
Es gibt jedoch auch einzelne erlesene Stücke, bei denen es sich tatsächlich um Originale aus dem fünften oder sechsten Kontinent handelt. Unter diesen wenigen gibt es wiederum noch wenigere Instrumente, die jahrhundertealt sind, von Vaterhand zu Sohneshand auf dem Sterbebett bzw. kurz vorher oder nachher überreicht; Traditionelle Häuptlingsinstrumente, aus dem besten aller Australischen Hölzer hergestellt, das Rote Eukalyptusholz, und mit den rituellsten und feinsten Tierschnitzereien versehen, die sich ein Wilder nur vorstellen kann. Im direkten Vergleich mit einem Norwegerpulli würden sie zwar einen schlechten Eindruck machen, aber wenn man die Zeit bedenkt, die dazwischenliegt, muss man sagen: passabel.
Leider sind besonders die vietnamesischen Produzenten raffiniert genug, ihre billigen Blasinstrumente genauso aussehen zu lassen, wie die praktisch unbezahlbaren Vorbilder.
Wer es nicht glaubt, soll ruhig einmal in diesen Ethnoladen in der Kreuzstraße gehen: das eine sieht aus wie das andere und alle sehen alt aus. Da werden in voller Absicht fabrikneue Kratzer hineingemacht und kleine Löcher, damit es wie ein Holzwurm aussieht, die anschließend wieder mit Streichhölzern restauriert werden. Dann läuft ein Automechaniker mit öligen Fingern einen Tag lang mit dem Ding durch die Gegend und schmeißt es ab und zu voll auf den Boden. Abends wird es dann ein letztes Mal poliert und nach Deutschland verschifft.
Der Preisunterschied ist immens: für ein fabrikneu aussehendes Instrument bezahlt man im Einkauf höchstens dreißig Mark. Für ein wie oben beschrieben behandeltes Horn muss selbst der Einzelhändler schon einen Hunderter hinlegen. Wenn dann noch 'Made in Australien, anno 1922' ganz unten in ganz kleinen Buchstaben dazugeschnitzt ist: 3 bis 4 hundert. (Oder noch besser mit einem Phantasiezertifikat: "Sie halten ein wertvolles Australi.." "Congratulations for buying this origi.." "Das Gütesiegel der Australian Aboriginal Associa.." "Passed DLNFA, 32/2001")
Im Verkauf also 2000 Mark [incl. MWSt. (z.Zt. 16%)].
Ein echtes Instrument (nur ein Australienkenner und Experte ersten Ranges kann es unterscheiden und zwar an den kleinen Anzeichen, die nur er und nur deshalb kennt, weil er ein Experte ist) kostet allerdings ab hunderttausend Mark.
Wenn man sich das vorstellt.
Nach oben ist keine Grenze gesetzt. Das unbezahlbarste von allen ist das in den 70er Jahren untergetauchte und sogenannte 'ùlúrù˘ ∆úrùlú', Übersetzung: 'Blasstock vom Heiligen roten Felsen', das aus dem frühen 16.Jahrhundert stammen soll.
Holzuntersuchungen, bei denen eine kleine Probe entnommen wird und mit anderen Hölzern aus der gleichen Zeit und Gegend verglichen wird, ob die Jahresringe auch gleich dick und von gleicher Farbe sind, bestätigen diese Jahreszahl).
(Das kleine Loch wird dann mit speziellen Restauratoren-Zahnstochern und Leim vom Beutelhasen wieder verstopft.)
Bis dato dachte die Forschung, dass sich das D erst so um das Jahr 1800 entwickelt habe, aber sie haben sich offensichtlich und wie so oft vorher und nachher getäuscht.
Aber wie gesagt, das ùlúrù˘ ist wahrscheinlich auf ewig verloren, vielleicht kleingehackt und im Ofen verheizt von einem, der dachte, es sei nur ein altes Stück Wasserleitungsrohr, oder von einem, der garnichts dachte.
Außerdem hat es leider mit der Geschichte hier nichts, oder doch wahrscheinlich nichts zu tun. Es gibt aber noch Fotos.
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Jedenfalls, die beiden Holzrohre, die Susanne Banner, Kriminalassistentin bei der Kripo Karlsruhe, Dezernat Persönlichkeitsdelikt-West, PDW, (Mord Seibold), bemerkt, als sie am Samstag, den 16. um 07.25 Uhr hinter Kriminalobermeister Gerd Schliemann (Abt. Physikalische Spurensicherung) die kühle Gutmoossche Wohnung betritt, sind etwa einszwanzig hoch, leicht gekrümmt und weisen die üblichen Schnitzereien, Kerben und Gebrauchsspuren auf.
Baseballschläger, denkt sie erst (Selektive Wahrnehmung).
Sie stehen in je einem schaumstoffgepolsterten Instrumentenkasten neben einem Regal, auf dem außerdem ein ordentlich zusammengefalteter Notenständer, Partituren und verschiedene Notenhefte, DIN-A4, aufbewahrt werden.
'FÜR APHRODITE.
Konzert für Zwei Digeridoos & Klassische Popgruppenbesetzung.'
ist der Titel von dem Manuskript, das oben auf dem Stapel liegt. Und:
'Wenzel X. Gutmoos,
7. Semester, Klasse Professor Paulhanns Von Hemmerle,
Musikhochschule Karlsruhe
Februar 2003'
In einer kleinen und ebenfalls ordentlichen Handschrift sind vielleicht dreißig Seiten mit vier mal zwei mal fünf parallele Zeilen mit Notenschriften und kleinen Punkten und Strichen beschrieben, die auf laufen und ab laufen.
Wenzel X. (X für Xavier, wie anzunehmen ist) selbst, dreiundzwanzigjähriger Student im Studienfach Holzblasinstrumente, Nebenfach Schellenbaum, Rasseln und Rhythmusgerät an der o.g. Hochschule, liegt lebensdurstig, blond und aufgeweicht in der Badewanne und ist tot.
Eingerahmt von diesen furchtbaren hellgrünen Siebzigerjahrekacheln, die seine ungesunde Hautfarbe unterstreichen.
Draußen ist es schon beinahe hell. Die Straße setzt dem Himmel nur halbherzigen Widerstand entgegen, die selbsttauenden schwarz-grauen Gewitterwolken haben sich indessen verzogen.
Neuschneefälle oben im Schwarzwald, was Susanne nicht sehen kann, aber weiß, denn sie hatte gestern ihren freien Tag und mit ihrer Schwester einen Ausflug dahin unternommen. Langlauf und so weiter.
Unten läuft auch richtig ein Jogger in schwarzem Sportdress vorbei.
Ein übernächtigter Sonnenstrahl reicht hinüber zum triefnasigen Mühlburger Tor, das den Autoschlangen zögerlich Durchfahrt gewährt. Es spiegelt sich auf der regennassen Straße und erinnert an einen von diesen Tintenkleckstests, der Susanne an Schmetterling, auf der Seite liegend, denken lässt.
Das Tor wird seit 1871 nachts nicht mehr geschlossen.
Unten bemüht sich jetzt der rote Kadett vom Kommissar - aus Angst vor Dellen und Kratzern möglichst ohne Zutun des Fahrers - an einem Baum vorbei, an den übrigens gerade ein Hund pinkelt, in die Parklücke vorm Haus zu manövrieren.
"Mord aus Eifersucht? Einbruchdiebstahl, Bunny?" Kommissar Seibold, Kriminalhauptkommissar Siegfried J. Seibold, das ist die richtige Anrede, Kriminalhauptkommissar Siegfried J. Seibold kommt schließlich ohne Probleme durch die Wohnungstür
geschritten, geschritten kann man es nennen, wenn einem, wie Frau Banner, gerade partout kein treffenderer Ausdruck für diese zögerlich-konzentrierte Gangart einfällt. Geschlurft. Als müsste er aufpassen, dass er einen Fuß richtig vor den vorherigen setzt, und das auch noch immer abwechselnd. Die Schuhe stecken brav in Spurensicherungshüllen.
Aber Achtung: Frau Banner, alias Bunny weiß, dass er sich diesen Schlurfgang von Peter Falk im 3. Bayerischen abgeschaut hat, um Verdächtige zu täuschen. Eine Form von Understatement, wenn man so will.
Leider täuschen sich auch Unverdächtige oft in ihm; Bunny aber nicht. Sie verbringt jetzt schon seit anderthalb Jahren mehr Zeit mit ihm als mit Sören und glaubt, ihn ziemlich gut zu kennen. Sie hätte allerdings jeden ausgelacht, der behauptet hätte, dass ihr Chef in den nächsten knapp sieben Wochen zwei Menschen töten würde.
Vermutlich weiß sie nichteinmal, dass er seine Dienstwaffe immer ordnungsgemäß im Schulterhalfter mit sich trägt.
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[1] vgl.: "Deutsches Jagdhorn im internationalen Vergleich", Hrsg. Die Deutsche Jagd e.V., Der Jagdverlag, Rosenheim 1997
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